Platons Höhlengleichnis
oder: Die Erkenntnis der Wahrheit hinter den Dingen
Das Höhlengleichnis des griechischen Philosophen Plato (427 bis 347 v. Chr.) aus dem 7. Buch Politeia besteht aus einem Dialog zwischen Sokrates und Gauklon und beschreibt den Vorgang des Erwachens und des Erkennens der Wahrheit hinter den Dingen, die der Mensch aufgrund seiner Sinneswahrnehmung für die Wirklichkeit hält. So alt dieses Gleichnis auch ist - es ist aktueller denn je.
Teil 1: Das Leben in der Höhle -- (es folgen Teil 2 und Teil 3)
Hierauf vergleiche nun, fuhr ich fort, unsere Natur in Bezug auf
Bildung und Unbildung mit folgendem Erlebnis. Stelle dir Menschen vor
in einer unterirdischen, höhlenartigen Behausung, diese hat einen
Zugang, der zum Tageslicht hinaufführt, so groß wie die ganze Höhle. In
dieser Höhle sind sie von Kind auf, gefesselt an Schenkeln und Nacken,
so dass sie an Ort und Stelle bleiben und immer nur geradeaus schauen
ihrer Fesseln wegen können sie den Kopf nicht herumdrehen. Licht aber
erhalten sie von einem Feuer, das hinter ihnen weit oben in der Ferne
brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefesselten aber führt oben ein Weg
hin
dem entlang, denke dir eine kleine Mauer errichtet, wie die
Schranken, die die Gaukler vor den Zuschauern aufbauen und über die
hinweg sie ihre Kunststücke zeigen. - Ich sehe es vor mir. Stelle
dir nun längs der kleinen Mauer Menschen vor, die allerhand Geräte
vorübertragen, so dass diese über die Mauer hinausragen, Statuen von
Menschen und anderen Lebewesen aus Stein und aus Holz und in
mannigfacher Ausführung. Wie natürlich, redet ein Teil dieser Träger,
ein anderer schweigt still. - Ein seltsames Bild führst du da vor, und
seltsame Gefesselte, sagte er. Sie sind uns ähnlich, erwiderte
ich. Denn erstens: glaubst du, diese Menschen hätten von sich selbst
und voneinander je etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten,
die das Feuer auf die ihnen gegenüberliegende Seite der Höhle wirft? -
Wie sollten sie, sagte er, wenn sie zeitlebens gezwungen sind, den Kopf
unbeweglich zu halten?
Was sehen sie aber von den Dingen, die vorübergetragen werden? Doch eben dasselbe? - Zweifellos. - Wenn sie nun miteinander reden könnten, glaubst du nicht, sie würden das als das Seiende bezeichnen, was sie sehen? - Notwendig.
Und wenn das
Gefängnis von der gegenüberliegenden Wand her auch ein Echo hätte, und
wenn dann einer der Vorübergehenden spräche - glaubst du, sie würden
etwas anderes für den Sprechenden halten als den vorbeiziehenden
Schatten? - Nein, beim Zeus, sagte er. - Auf keinen Fall, fuhr ich
fort, könnten solche Menschen irgend etwas anderes für das Wahre halten
als die Schatten jener künstlichen Gegenstände. - Das wäre ganz
unvermeidlich, sagte er.
Originaltext in Übersetzung: »Platon, Politeia
(Bildquelle: Plato's Allegory of the cave, Jan Saenredam, commons.wikimedia.org)
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