Vom Kater, der gern ein Mensch sein wollte
Im
Hause eines Dichters lebte einmal ein Kater. Er hatte ein glänzend
schwarzes Fell, prachtvolle grüne Augen und den schönsten dicken
Katerschwanz weit und breit. Kurz, er war ein Kater wie er sein muss.
Sein Herr, der Dichter, hielt ihn hoch und wert, er behauptete, der
Kater verstünde jedes Wort, und so war es auch. Eines Abends, als der Dichter Besuch hatte, pfiff er dem Kater und ließ ihn auf den Tisch
springen. "Jetzt zeige, was du kannst," sagte er und hob den Finger. Da
machte der Kater sogleich einen Buckel und fauchte die Umstehenden mit
blitzenden Augen an. Der Dichter aber sagte: "Meinem Kater fehlt bloß
die Sprache, hätte er die, wäre er sicherlich ebenso intelligent wie
manche unsrer Professoren und könnte einen respektablen Doktor
abgeben." Die Freunde lachten und streichelten den vor Freude
schnurrenden Kater. Einer von ihnen aber sagte: "Na, was nicht ist,
kann ja noch werden." Und sie lachten noch mehr.
Unserm Kater
aber stiegen alle diese Worte zu Kopfe, und der Ehrgeiz fing an, ihn
gewaltig zu jucken. "Wäre ich doch ein Mensch," dachte er, "es muss
herrlich sein, seinen tiefsten Gefühlen in Worten Ausdruck geben zu
können
wie armselig ist unsre Katzensprache! Gelänge es mir doch
menschlich zu sprechen, meinen Schwanz würde ich dafür hergeben!"
Er
wurde ganz melancholisch und klagte nachts auf den Dächern dem Monde
sein Leid. Der verstand ihn aber nicht, ebensowenig wie seine
Nachbarin, die weiße Katze, die ihren Freund erschrocken von der Seite
ansah und sich mit einem angstvollen Miau zu ihrem Vetter, dem grauen
Kater flüchtete. Er sah ihr verächtlich nach: "Sie passt doch nicht zu
mir," dachte er, "was weiß sie von meiner Sehnsucht" und aufs neue
ließ er seine klagende Stimme tönen.
Endlich hörte ihn eine zahme
Krähe, die eine tüchtige Fertigkeit in der menschlichen Sprache besaß.
"Willst du mir einen Teil deines Mittagbrotes abgeben?" krächzte sie,
"ich kann dich schon lehren, kann dich schon lehren!" "O," sagte der
Kater erfreut, "alles, alles, und noch ein paar Mäuse dazu, liebe,
verehrte Frau Krähe, Sie machen mich unendlich glücklich!"
Sie
verabredeten nun Ort und Stunde, und der Unterricht begann. Zuerst
lernte der Kater herzlich schwer sein altes Miau kam ihm mitten in die
schönsten Silben, aber schließlich begriff er, wie er die Zunge halten
müsse, und es gelang ihm das erste Wort anzusprechen. Wie glücklich und
stolz war unser Freund!
Wie fleißig übte er im Schatten des
Schornsteins seine neue Kunst! Nach ein paar Monaten konnte er schon
einen langen Satz hersagen, und bald übertraf er seine Lehrmeisterin,
der er ein ganzes Gedicht vorsprach, das er von Fritzchen, dem Sohne
des Dichters, gehört hatte!
Nun fühlte er sich ganz wie ein Mensch und beschloss in die Welt zu gehn, um was Rechtes zu werden.
Er
schlich in Fritzens Kinderstube, wo im Schrank der Sonntagsanzug hing,
zog ihn an und freute sich, wie schön er passte. Weil aber der Schwanz
immer hinten hinaus wollte, band er ihn auf dem Bauche fest, griff nach
Fritzens Mütze und stahl sich in den Garten. Hier ging er ein paarmal
aufrecht an der Mauer entlang, um sich das Gehen auf den Hinterbeinen
anzugewöhnen. Schnell nahm er noch von der Krähe Abschied, warf der
weißen Katze einen gnädigen Blick zu und begab sich auf die
Wanderschaft.
Unterwegs versuchte er, um sich zu üben, das
Märchen vom gestiefelten Kater zu erzählen, das er neulich von Fritzens
Kinderfrau hatte vorlesen hören. Er vertiefte sich so in seine
Aufgabe, dass er nicht merkte, was um ihn vorging. Es marschierte
nämlich schon eine geraume Zeit ein ferienreisender Student neben ihm
und hörte erstaunt und belustigt dem redenden Kater zu.
Endlich
stieß er ihn an: "Bist du ein Mensch oder eine Katze?" fragte der
Student. "Wie man's nimmt," entgegnete der Kater, indem er sich – wie
der Kater im Märchen – anstandsvoll verneigte, "ich hoffe aber in der
hohen menschlichen Gesellschaft ganz meine Katzennatur abzustreifen und
ein wahrhafter Mensch zu werden." Als der Student diese weisen und
maßvollen Worte hörte, bot er dem Kater gleich Brüderschaft an und
kaufte ihm einen Zwicker und Glacéhandschuhe. "Nun kannst du dich in
der feinsten Gesellschaft bewegen," meinte er.
So wanderten sie in Eintracht zusammen, denn der Student war ein lustiger Vogel und freute sich über das Abenteuer.
"Höre,
Schwarzer," sagte er eines Tages zu ihm, "du musst auf die Universität,
du bist ein so genialer Kater, dass du studieren musst!" Der Kater wurde
unter seinem Fell ganz rot vor Freude. "Und was meinst du, das ich
studieren soll?" fragte er herzklopfend. "Ich glaube, du hättest Talent
zum Juristen," sagte der Student ernsthaft und erklärte seinem Freunde,
was das sei. "Ich würde dir raten, nach der Schweiz zu gehn in unserm
deutschen Vaterlande ist es bisher Menschen von käterlicher Abkunft
nicht gestattet, Jura zu studieren." Der Kater war's zufrieden, ließ
sich den Weg beschreiben und ging nach Zürich.
"Bist du ein
Mensch oder ein Kater?" fragte ihn der Rektor der Universität. "Ich bin
ein menschgewordner Kater," sagte unser Freund stolz und bescheiden.
Der Rektor sah ihn bedenklich an, schüttelte den Kopf, erteilte ihm
aber schließlich die Erlaubnis, und so begann er zu studieren.
Aber
nun fing sein Leiden an. Die Studenten gingen ihm aus dem Wege oder
verspotteten ihn, wo sie konnten, so große Mühe er sich auch gab, sich
ihren Sitten anzupassen. Er ließ sich das Gesicht glatt abrasieren,
obwohl ihn jämmerlich fror, ja, gewöhnte sich selbst das Biertrinken
und Tabakrauchen an, das ganz und gar nicht in seiner Natur lag, bloß,
um den andern ähnlich zu werden und ihnen zu gefallen. Aber alle
Zuvorkommenheit und Höflichkeit waren umsonst, er war und blieb für
Professoren und Studenten der schwarze Kater und fühlte immer bittrer,
wie sehr man ihn wegen seiner Herkunft verachtete.
"Wenn ich nur erst
Doctor juris
bin," dachte er, "dann werden sie mich doch als ihresgleichen ansehen
müssen," und er studierte mit Feuereifer und Gründlichkeit.
Endlich
war er so weit, um seine Doktorrede zu halten. Der große Saal war dicht
gedrängt voll alles wollte den weisen Kater sprechen hören und seinen
Spaß an ihm haben. Er hatte die Glacéhandschuhe angezogen, den Zwicker
aufgesetzt und betrat die Rednerbühne. Aus einer Ecke tönte ein
langgezogenes, leises Miau, er zwang sich aber zur Ruhe und fing seine
wohldurchdachte Rede an.
Als er aber an den Satz kam: "Die Welt
ist dem Richterspruche der Zeit, und wir Menschen dem Richterspruche
der Zukunft unterworfen," geschah etwas Furchtbares.
Die
Studenten fingen an zu johlen und laut Miau zu rufen, ein donnerndes
Gelächter erhob sich, und dazwischen schrie man: "Kater, schwarzer
Kater, Zukunftskater, Kater raus!"
Unser Kater zitterte und
starrte auf die tobende Menge unter sich. Plötzlich kam ihm der Haufen
da vor wie lauter piepsende, sich balgende Mäuse, lauter Mäuse, lauter
piepsende Mäuse! Seine Haare sträubten sich, mit einem Ruck erwachte
seine Katerseele wütend riss er sich die Kleider vom Leibe, dass sein
schwarzer Schwanz steil in die Höhe fuhr, und während sie im Saale noch
lauter lachten und johlten, sprang er mit einem herzzerreißenden
Miaugeheul den Zuhörern auf die Köpfe, brauchte seine scharfen Krallen
und fauchte: "Lauter Mäuse, lauter Mäuse!" Da ergriff die Menge eine
furchtbare Angst und mit dem gellenden Rufe: "Der Kater ist toll
geworden!" stürzte sie in wilder Flucht den Türen zu, und bald war der
Saal leer.
Der Kater aber beruhigte sich nach und nach und sprang
auf das Katheder, wo er das in Unordnung geratene Fell hübsch sauber
und glatt leckte. "Es lohnt sich nicht der Mühe, Mensch zu werden,"
dachte er, "wir Kater sind doch ein edleres Volk." Darauf reckte er,
wie erlöst, seinen geschmeidigen Katzenkörper, schnurrte, machte einen
Buckel und verließ mit hocherhobenem Schwanze die Universität.
Sein Herr, der Dichter, freute sich, als er ihn wieder zurückkehren sah und verzieh ihm gern seine Streiche.
Einmal des Nachts, als sie beide allein waren, erzählte ihm der Kater seine
Abenteuer, und der Dichter hat sie zur Warnung für alle andern
ehrgeizigen Kater aufgeschrieben.
Wenn ihr aber den gelehrten
Kater sehen wollt, so geht nach der Mühlenstraße Nr. 3, da sitzt er auf
dem Laubendach und unterhält sich mit seiner Nachbarin, der weißen
Katze.
(Paula Dehmel)
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